Welche Vorstellungen liegen der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes zugrunde?
Welche Konsequenzen haben sie?
Gibt es Maßnahmen, die getroffen werden können, um diese Bilder nicht zu reproduzieren?
Wie sieht die Situation in Tirol aus?
Diese und mehr Fragen wurden im Rahmen eines Workshops zum Thema „Wandel oder Stillstand? Geschlechterverhältnisse in der Arbeitswelt“ aufgeworfen, zu dem der Verein Netzwerk Geschlechterforschung mit Obfrau Erna APPELT am 20. Mai 2016 lud. Der Workshop schloss an einen Vortrag, den Prof. Dr. Andrea MAIHOFER – Soziologin aus Basel – im Rahmen der Vortragsreihe „Innsbrucker Gender Lectures“ an der Universität Innsbruck am Vorabend hielt, an.
Inhaltlich war der Workshop in drei Abschnitte geteilt: zuerst wurden die wichtigsten Thesen des Vortrags von Andrea Maihofer reflektiert und diskutiert. In einem zweiten Abschnitt wurden persönliche Wahrnehmungen themenbezogen in die Diskussion eingebracht. Im dritten Teil des Workshops berichteten unterschiedliche Expert/en_innen aus ihrer persönlichen Berufserfahrung. Im Anschluss daran wurde über diese Berichte in Kleingruppen diskutiert.
Im Folgenden werde ich auf den ersten und letzten Abschnitt des Workshops näher eingehen.
Andrea Maihofer berichtete ergänzend zu ihrem Vortrag von einem Forschungsprojekt, in dem 6.000 Jugendliche in mehrjährigen Abständen befragt wurden. Ausgehend von deren schulischer Leistung wurde untersucht, wie sich die Jugendlichen beruflich entwickelten. Bezüglich der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes wurde interessanterweise festgestellt, dass Frauen und Männer, die in für sie „untypische“ Berufen gingen, sich letztlich doch wieder dort fanden, wo Berufe gemeinhin als „geschlechtertypisch“ betrachtet werden – so fand sich beispielsweise die Malermeisterin schlussendlich als Sekretärin wieder.
Berufswünsche würden bei Frauen als Lebensentscheidungen getroffen: Frauen seien daher eher in Berufen zu finden, die für Teilzeit geeignet und so mit Familienpflichten vereinbar zu sein scheinen. Männer hingegen zielten darauf ab, einen Beruf zu ergreifen, der ihrer Rolle als Familienernährer entspricht. Es müsse also berücksichtigt werden, dass die geschlechtsspezifische Aufgabenteilung in der Familie Auswirkungen auf die Berufswahl haben.
Maihofer unterstrich, dass sich Frauen in den seltensten Fällen über die Konsequenzen ihrer Entscheidungen bewusst seien. Sie träfen in ihrer Jugend bereits grundsätzliche Abhängigkeitsentscheidungen und seien sich über die Folgen dieser Entscheidungen für die Altersabsicherung nicht im Klaren. Zwanzigjährige Frauen machten sich nicht Gedanken darüber, dass fünfzig Prozent der Ehen geschieden werden und sie also zu fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit in Patch-Work-Konstellationen landen. Diese „Blauäugigkeit“ ziehe sich quer durch alle Milieus. Aufgrund der Vorstellung von traditionellen Familienkonstellationen träfen Mädchen und Burschen ihre Berufswahl. Das bedeute einen großen Unterschied zwischen den Lebensentwürfen von Männern und Frauen.
Die Diskussionsleiterin Itta Tenschert fasste zusammen: Die schlechte Bezahlung in bestimmten Branchen wirke abschreckend auf Männer, nicht aber auf Frauen. In Österreich sei die Absicherung für Frauen auch oft durch Vollzeitbeschäftigung nicht möglich und führe unter Umständen zu einer nicht garantierten Altersabsicherung.
Elisabeth STÖGERER-SCHWARZ brachte Ergebnisse des Tiroler Gleichstellungsberichts in die Diskussion ein: In Tirol hätten Frauen das geringste Einkommen in ganz Österreich und seien am häufigsten in Teilzeit beschäftigt. Aufgrund der geografischen Lage (abgelegene Täler) würden Frauen sich überlegen, ob sich das Hinfahren zum Arbeitsort überhaupt lohne. Deshalb fänden sich besonders Frauen, deren Karenzzeit abgelaufen ist, im informellen Arbeitssektor wieder.
Um die Geschlechtertypik am Arbeitsmarkt aufzubrechen, würde Maihofer in erster Linie bei der Berufsberatung ansetzen. Bisher würden geschlechtstypische Berufe eher nahe gelegt, anstatt dem gegenzusteuern. Außerdem betonte die Soziologin, dass Lohnungleichheit und die unterschiedliche Bewertung von Arbeit abgeschafft werden müssten, um die Wahrscheinlichkeit der Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit zu verringern. Die Entscheidung, welcher Elternteil in Karenz geht, sei anhand der Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern bereits vorherbestimmt – individuelle Entscheidungen würden damit so gut wie nichtig.
Heike WELTE setzt auf Veränderungen in Unternehmen: Gerade dort könnten geschlechtertypische Zuschreibungen von Tätigkeiten aufgebrochen werden. Es solle Einkommensgleichheit durchgesetzt werden und Teilzeit denselben Wert wie Vollzeit erhalten. Dann könnten auch Männer in die Teilzeit gehen. Derzeit seien Karrieren und die Versorgung von Familien durch Teilzeitarbeit nicht möglich. Würden Unternehmen andere Geschlechterbilder vertreten und typische Bilder aufgebrochen werden, müsste dies langfristig sowohl auf gesellschaftlich vorherrschende Bilder als auch auf die Berufswahl Auswirkung haben. Managementstrategien würden gute Argumentationen für die Umgestaltung von Arbeitsverhältnissen in Unternehmen bereitstellen, wobei soziale Effizienz, wie beispielsweise Arbeitszufriedenheit und die Gestaltung der Entlohnung, in den Mittelpunkt gestellt werde.
Maihofer zeigte sich diesem Ansatz gegenüber skeptisch. Sie vertrat die Ansicht, dass Veränderung lediglich durch Sanktionen herbeigeführt werden könnten. Infrastrukturen würden sich nur ändern, wenn sie politisch gefordert werden.
Nach einer Phase des Austauschs und der persönlichen Reflexion folgten im dritten Abschnitt des Workshops Statements von Expert/en_innen, die anschließend in Kleingruppen diskutiert wurden.
Gabi DALLINGER-KÖNIG berichtete aus der Perspektive des Arbeitsmarktservice Tirol über Jugendliche, die sich derzeit in Berufsausbildung befinden. „Geschlechtstypische“ Berufsentscheidungen überwiegen, auch wenn die Berufsaussichten für Mädchen in technisch-handwerklichen Berufen sehr gut wären. Es entlarve sich als Mythos, dass diese Berufe mit Familie nicht vereinbar wären. Betriebe machten es den Lehrmädchen aber oft schwer: sie würden in Männerbetrieben nicht integriert und ihnen keine angemessene Ausbildung gewährt.
Im Gegensatz zu Burschen besuchten Mädchen überwiegend berufsorientierte, wie pädagogisch-wirtschaftliche, Schulen. Das bedeute, dass der geschlechtssegregierte Arbeitsmarkt schon durch die Schulen vorgeprägt und dadurch immer wieder hergestellt wird.
Katharina RAFFL, Gleichbehandlungsanwältin Westösterreichs, betonte, dass das Gleichbehandlungsgesetz die Möglichkeit biete, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Voraussetzung sei der Zugang zum Recht. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft vertrete Personen, die sich diskriminiert fühlten und möchte, z.B. durch Infobroschüren, den Zugang zum Gesetz ermöglichen.
Raffl brachte konkrete Fälle, in denen sich Personen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert fühlten, vor. Eine Diskriminierung liege dann vor, wenn eine Person in einer Gruppe aufgrund eines bestimmten Merkmals schlechter behandelt wird. Diskriminierungen müssten nicht bewiesen werden, sondern glaubhaft gemacht werden. Trotz aller Kampagnen und Bewusstseinsarbeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft sei es aber zur Realisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch ein weiter Weg: Die Erwerbsarbeit von Frauen wird nach wie vor abgewertet und unterbezahlt.
Gotthard BERTSCH, Pädagoge und Psychotherapeut, vertrat die Männerberatungsstelle Innsbruck sowie den Boys Day. Der Boy’s Day bringe Burschen „männeruntypische“ Erwerbsarbeiten, wie Pflegeberufe, nahe. „Traditionelle“ Männlichkeitsbilder rückten die Erwerbsorientierung, bei gleichzeitiger Verdrängung von Pflege- und Sorgearbeiten, in den Mittelpunkt. Beim Boy’s Day gehe es darum aufzuzeigen, dass alle Berufe cool und offen für Männer sind. Die negative Bewertung von typisch weiblichen Berufen, die bei Männern oft mit Homosexualität in Verbindung gebracht werden, solle aufgebrochen werden.
Männer, die dem klassischen Bild entsprächen, profitierten durch berufliches Fortkommen, hohes Einkommen und Zugewinn an Status. Daraus resultiere die Gefahr von einseitigen Lebensentwürfen, in denen kaum Platz für Familie, Freundschaften oder sich selbst bleibe. Die Work-Life-Balance gerate aus dem Gleichgewicht. Männer, die Erwerbsarbeit zum Lebensmittelpunkt machten, bauten ihr Selbstwertgefühl und ihre Identität darauf auf. Das bedeute, dass sie unmittelbar von Belastungen am Arbeitsplatz betroffen sind. Kurzfristig könnten Belastungen am Arbeitsplatz überspielt werden, langfristig würden sie oft „nach unten“ weitergegeben. Daraus entstünde ein feindliches Klima, das geschlechterübergreifend wirke. Männer seien je nach Position unterschiedlich vom Konkurrenzdruck betroffen: Fremd- und Selbstausbeutung verschärfe eigene Existenzbedingungen und die anderer, könne aber auch Aufstiegschancen mit sich bringen. Bertsch’s Fazit: Konkurrenzdruck führe zu einem Klima, in dem Mobbing Normalität geworden sei. Ein derartiges Klima könne zu langfristigen Folgen führen: Alkoholkonsum, Burnout, psychische und physische Krankheiten.
Die derzeitige Entwicklung des Arbeitsmarktes, die tendenziell von Einsparungen geprägt sei, tendiere dazu, traditionell „typisch männliche“ Berufe abzuschaffen, was zu größeren Zeitspannen von Arbeitslosigkeit führen könne und wiederum bei Männern das Risiko von persönlichen und sozialen Krisen erhöhe.
Der Dachverband für Männerarbeit setzte sich für geschlechtergerechte Verhältnisse am Arbeitsmarkt ein, um auch Frauen Zugänge zu gut bezahlten Jobs und Aufstiegschancen zu verschaffen. Davon würden Männer auf vielfältige Art profitieren: es könnte einen Ausstieg aus der sogenannten „Ernährerfalle“ bedeuten; außerdem könnten Männer Privates und Berufliches langfristig balanciert gestalten und als Väter Vorbilder für ihre Kinder sein. Es brauche gesetzliche Voraussetzungen für Väterauszeiten ebenso wie Auszeit und Teilzeit in der Führungsetage. Daneben brauche es auch Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung.
Nach einem sehr anregenden und diskussionsreichen Nachmittag blieben für mich dennoch einige Fragen offen:
welches Familienbild wurde in den Diskussionen vertreten? War es nicht eher ein mittelschichtsorientiertes? Müssten wir uns nicht zuallererst die Frage nach einem Grundeinkommen stellen, bevor wir Teilzeit für alle forderten? Welche Familien könnten es sich leisten, sowohl Vater als auch Mutter in Teilzeit zu schicken?
Wie Andrea Maihofer betonte, sei die Entscheidung, welches Elternteil in Karenz gehe, bereits durch Lohnungleichheit vorherbestimmt.
Zu denken gibt mir Maihofers Erkenntnis, dass sich die „Blindheit“ der jungen Mädchen hinsichtlich zukünftiger Absicherung in allen gesellschaftlichen Milieus zeige. In diesem Zusammenhang muss ich die Frage stellen, was Bildung bewirken kann. Es scheint, als gelte das Bildungsbürgertum nicht als Ausnahme. Und wie sieht die Situation bei mir selbst aus? Habe ich je darüber nachgedacht? Oder konzentriere ich mich – mit Blick auf die Zukunft – viel eher auf meine Rolle als zukünftige Mutter?
Hinzu kommt die Frage, wie sich homosexuelle Paarbeziehungen organisieren. Der Workshop war heteronormativ gestaltet – was durchaus seine Berechtigung hat –, schloss damit aber bestimmte Beziehungskonstellationen von vornherein aus: Wie organisieren sich lesbische Paarbeziehungen und Familien? Wie sieht es dort mit der Altersabsicherung aus?
Diese und weitere Fragen bleiben offen. Vielleicht können sie auf einer künftigen Veranstaltung des Vereins Netzwerk Geschlechterforschung erörtert werden.
von Daniela Schwienbacher
Der Workshop fand am 20. Mai 2016 im Haus der Begegnung, Innsbruck statt.