Innsbruck, den 24. Februar 2016
Verweigerung von Bestattungen im kriegerischen Konflikt des türkischen Staates mit der kurdischen Bevölkerung – Verlust von Menschlichkeit
Wir, die „Frauenvernetzungsgruppe für Begegnung und Austausch“, haben uns vor zwei Jahren in Tirol zusammengefunden. Diese Initiative besteht aus Frauen unterschiedlicher Einrichtungen (z.B. Sozialberatungs- sowie Frauenberatungsstellen, Parteien, Gewerkschaften, …) sowie aus Frauen der christlichen Frauenbewegungen, der autonomen Frauenbewegung und aus migrantischen Frauengruppen und kurdischen Aktivistinnen.
Nach den Novemberwahlen in der Türkei wurde erwartet, dass sich die Lebenssituation der Kurdinnen und Kurden in der Türkei verbessern würde. Das Gegenteil ist jedoch eingetroffen. Es hat eine dramatische Verschlechterung der Menschenrechtssituation stattgefunden. Seit August 2015 werden kurdisch besiedelte Städte in der Türkei von türkischen Polizisten und Spezialeinheiten der Armee belagert. Wir dürfen nicht zulassen, dass der türkische Staat weitere Massaker, Gewalt gegen Frauen und Frauenmorde, willkürliche Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen verübt.
Selbst noch die Bestattung der Getöteten wird verunmöglicht, wie zum Beispiel mit Ekin Van geschehen: Sie wurde mit 29 Jahren am 10.8.2015 in Varto ermordet, ihr Körper wurde nackt auf der Straße zur Schau gestellt; oder z.B. die zehnjährige Cemile Cagirga, in Cizre ermordet (7.9.2015): Sie konnte – wie andere Tote in der Zivilbevölkerung auch – aufgrund der Ausgangssperre nicht in Würde begraben werden, stattdessen sahen sich ihre Familienangehörigen gezwungen, ihren Körper zu Hause drei Tage lang in der Tiefkühltruhe aufzubewahren. Oder z.B. Haci Lokman Birlik, 24 Jahre alt und am 3.10.2015 in Sirnak getötet: Sein Leichnam wurde in aller Öffentlichkeit hinter einem Panzer auf der Straße entlang geschleift. Dies sind nur drei Beispiele von vielen, die das dramatische Ausmaß an Menschenrechtsverletzung aufzeigen sollen.
Die Bestattung von Toten gilt als der Beginn jeder menschlicher Kultur, menschliche Kultur gründet also auf dem Vorhandensein von Gräbern. Den drei monotheistischen Religionen Islam, Christentum und Judentum ist die Vorstellung gemeinsam, dass eine Bestattung der Toten wesentlich ist, damit der/die Verstorbene Frieden findet. Die Auferstehung der Toten gilt als ein Vorgang, der den Leib umfasst, woraus sich zentral die Würde der Toten ergibt. Die Verweigerung der Bestattung ist die schlimmste Beleidigung des „Feindes“. Antigone, die berühmte Gestalt der griechischen Mythologie, hat gegen den Befehl des Herrschers und unter Bedrohung ihres eigenen Lebens die Bestattung ihres Bruders vorgenommen und somit Menschlichkeit in eine gewalttätige Welt eingebracht. Bestattung und Trauerkultur sind ein wesentliches kulturelles Moment in unseren Gesellschaften und Religionen. Sie sind auf jeden Fall ein hohes Gut insbesondere bei kriegerischen und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Jede Verhinderung von Bestattungen bedeutet den Verlust von Menschlichkeit und gelebter Glaubenspraxis.
Wir erwarten von den Religionsgemeinschaften, dass sie sich für den Frieden stark machen und sich für die Wiederherstellung der Menschlichkeit und die ungehinderte Religionsausübung einsetzen.
- Alle zur Verfügung stehenden diplomatischen Kanäle müssen genutzt werden, um sich für ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen einzusetzen.
- Die Würde der Verstorbenen muss durch VertreterInnen der Religionsgemeinschaften zur Sprache gebracht werden.
- Es darf kein Wegschauen und Verschweigen der stattfindenden Totenschändungen geben.
- Aktionen müssen gesetzt werden, um die Bestattungen der Verstorbenen zu ermöglichen.
Mit freu